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Drohnen schaffen mehr Sicherheit und Effizienz in Warenlagern

Maschinen und Anlagen müssen regelmäßig inspiziert werden, bei Waren steht mindestens einmal jährlich die Inventur an. In modernen Warenlagern mit bis zu 44 Metern Höhe können solche Routineaufgaben zu risikobehafteten Unternehmungen werden. Das KION Tochterunternehmen Dematic setzt daher auf den Einsatz von Drohnen, um Kontrollen und Inspektionen zu vereinfachen und die Arbeitssicherheit zu erhöhen.

2022-08-24

Dienstagmorgen, 11.23 Uhr im Ersatzteillager eines deutschen Maschinenbauers. Seit das Warehouse Management System vor knapp fünf Stunden einen Fehlercode angezeigt hat, läuft gar nichts mehr: Die komplette Anlage steht still. Weil nichts eingelagert werden kann, stauen sich die Lkw an der Laderampe. Und weil nichts ausgelagert werden kann, gelangen wichtige Ersatzteile erst mit deutlicher Verspätung beim Kunden an. Hinzu kommt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frühschicht sitzen schon seit Stunden im Frühstücksraum und gucken auf ihre Handydisplays. Die liegengebliebenen Arbeiten werden wohl die Kolleginnen und Kollegen der Spätschicht aufholen müssen.

„Ich glaube, ich hab’s“, schallt es plötzlich aus dem Hochregallager. In neun Metern Höhe hat ein ausgebildeter Fassadenkletterer die Problemstelle nach langem Suchen in den vielen Regalebenen endlich gefunden: Eine Palette hat sich verkeilt und blockiert die Anlage. Der Servicetechniker kontrolliert noch einmal seinen Sicherheitsgurt, dann steigt er mit Zange und Schraubenzieher auf den Regalboden. Drei Minuten später ist das Problem gelöst, der Profi hat wieder festen Boden unter den Füßen und die Anlage läuft wieder. Aber er ist ein Risiko eingegangen – und der Stillstand des Ersatzteillagers hat für das Unternehmen viele Unannehmlichkeiten und Kosten verursacht.

Für Inspektionen, Sicherheitsprüfungen und Sichtkontrollen in Warenlagern bietet die KION Tochter Dematic speziell konstruierte Drohnen an.

Die Idee, mit Drohnen Warenlager zu inspizieren, kam von Kollegen

Es war also die private Leidenschaft der drei Kollegen – Bernd Kurz, Patrick Karg und Sven Hagner – die den Ball ins Rollen brachte. „Probeweise wurden erste Testflüge in einem Warenlager durchgeführt. Und da die Drohnen mit Kameras ausgestattet waren, haben mir Bernd, Patrick und Sven die Filmaufnahmen zukommen lassen“, sagt Kronfeld. Das war die eigentliche Initialzündung: Bei der Sichtung des Materials fiel Adrian Kronfeld auf, welch enormes Potential in der Verwendung von Drohnen für die Intralogistik steckt. Kurz darauf folgte der erste Piloteinsatz beim Dematic-Kunden Mammut, einem Hersteller von Sportartikeln. Zu Testzwecken bekamen die Dematic-Mitarbeiter Zugang zu Warenlagern und loteten die Grenzen des Machbaren weiter aus – so praxisbezogen wie nur möglich. „Das Ganze entwickelte eine echt spannende Eigendynamik. Wir haben von Probeflug zu Probeflug immer besser verstanden, wo die Einsatzmöglichkeiten liegen“, so Kronfeld.

Die Drohnen werden mit Lithium-Ionen-Batterien betrieben, sind mit jeweils vier Motoren, LED-Scheinwerfern und hochauflösenden Kameras ausgestattet. So können selbst kleinste Details wie beispielsweise Prüfaufkleber erfasst und ausgewertet werden. Durch angebrachte Thermalköpfe können zudem Oberflächentemperaturen von Anlagen in großer Höhe gemessen werden. Nach zahlreichen Tests zeichnete sich ein umfassendes Bild ab: Von der Unterstützung der Inspektionen oder Einstellarbeiten bis hin zu dem großen Thema Arbeitssicherheit – die potenziellen Einsatzgebiete der Drohnen sind enorm. Auch René Sickler war sofort Feuer und Flamme, als er von dem Pilotprojekt erfuhr: „Für unsere Kunden ist das ein handfester Wettbewerbsvorteil“, ist Sickler überzeugt.

Das Drohnen-Service-Team von Dematic, das diese Art der Drohneninspektion in Lagerhallen entwickelt hat.

Weniger Gefahr, weniger Ausfallzeiten durch Drohnen-Technologie

„Die Sicherheit am Arbeitsplatz hat immer höchste Priorität“, sagt René Sickler, Senior Director, Customer Services beim KION Tochterunternehmen Dematic: „Deswegen müssen alle sicherheitsrelevanten Anlagen und Bauteile regelmäßig in Augenschein genommen und auf etwaige Defekte hin überprüft werden.“ Diese Aufgaben fallen dann speziell geschulten Experten zu, die ihre Inspektionen regelmäßig mit Hilfe von Kletterseilen, Befestigungen und Gerüsten auch in großer Höhe und widrigsten Umständen durchführen müssen. Nun hat Dematic jedoch einen Weg gefunden, den Zeitaufwand solcher Routine-Kontrollen um rund 70 Prozent zu senken – und dabei außerdem das Unfallrisiko weitgehend auf null herabzusenken. „Mit unseren neuen Dematic Drone Inspection Services stehen die Anlagen künftig kürzer und geplanter still“, erläutert René Sickler. Das Prinzip ist einfach: Eine Drohne fliegt die Regalebenen ab, filmt und fotografiert dabei – und die Experten können vom sicheren Boden aus ganz einfach am Bildschirm nach potentiellen Fehlerquellen in der Höhe Ausschau halten.

Adrian Kronfeld, Head of Service South bei Dematic, strahlt übers ganze Gesicht. Zufrieden blickt er hoch zu der Inspektionsdrohne, die im wiederholten Testflug erneut alle Parameter wie vorgesehen einhält. Von der ersten Idee bis zum effizienten Einsatz der Drohnen sei es ein langer Weg gewesen, schildert er. Ganz am Anfang stand eine Leidenschaft – und die Eigeninitiative einiger Ingenieure. „Ich habe bei uns im Team drei Kollegen, die privat mit Drohnen Rennen fliegen“, erklärt Adrian Kronfeld. „Während einer einsamen Nachtschicht haben sich die drei Gedanken gemacht, wie sich bestimmte Prozesse verbessern ließen.“

The drones run on lithium-ion batteries and are each equipped with four engines, LED headlights and high-resolution cameras.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten von Drohnen

Im Facility Management etwa kann der Drohneneinsatz zu hohen Zeit- und Kosteneinsparungen führen – sogar weit über die Intralogistikbranche hinaus. „In der Höhe können nicht nur Regalbediengeräte inspiziert werden, sondern auch Sprinkleranlagen, Oberlichter und Dachluken“, erklärt Experte Kronfeld. Die Drohne könne leicht erkennen, wo sich beispielsweise undichte Stellen am Dach befinden. Oder im Winter bei Minustemperaturen und Eisbildung überprüfen, welche Flachdächer gegebenenfalls von Schneelasten befreit werden müssen.

Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich für die Drohnen sind Inspektionen. Gemäß gesetzlicher Vorgaben müssen in Deutschland jährlich mindestens 20 Prozent der gesamten Regalanlage eines Warenlagers getestet werden. „Das Regalsystem besteht unter anderem aus Querriegeln – und da muss regelmäßig geprüft werden, ob sie sich plastisch verformt haben, ob alle Schrauben und Verstrebungen noch da sind bzw ob wichtige Teile fehlen. All das lässt sich mit Drohnen hervorragend erledigen“, so Adrian Kronfeld. Das spart Zeit und Geld – und bringt überdies einen weiteren Vorteil mit sich. Das erstellte Bildmaterial lässt sich nämlich auch speichern, was eine Langzeitdokumentation aller Inspektionen ermöglicht.

Dematic setzt auf den Einsatz von Drohnen, um Kontrollen und Inspektionen zu vereinfachen und die Arbeitssicherheit zu erhöhen.

Be der Drohneninspektion muss sich niemand in Gefahr begeben

Das größte Potential sieht Dematic indes in der Arbeitssicherheit. Manche Warenlager erreichen inzwischen Höhen von bis zu 44 Metern – in solchen Höhen stellt jede Unregelmäßigkeit ein ernstzunehmendes Risiko dar. „Wenn beispielsweise eine Palette havariert ist oder sich verkeilt hat, kann die Drohne einfach heranfliegen und eine Bestandsaufnahme durchführen. So lässt sich ganz konkret die Gesundheit der Belegschaft schützen“, erklärt Adrian Kronfeld. Denn der Aufstieg auch von geschultem Personal stellt immer ein Risiko dar: Vibrationen können die Havarie verschlimmern oder die verkeilte Palette könnte sich plötzlich komplett lösen.

Bei der KION Group erkannte man das Potential der Inspektionsdrohnen sofort. Der Konzern unterstützte Adrian Kronfeld flächendeckend bei allen bürokratischen Aspekten der Weiterentwicklung: Versicherungs-, Patent- und Produktsicherheitsfragen wurden geklärt sowie die CE-Konformitätserklärung unterstützend begleitet. „Die Drohnen sind beim Luftfahrtbundesamt registriert und jede Drohne ist mit dem Piloten praktisch verheiratet“, schildert Kronfeld. „Jede Drohne hat eine eigene Kennung – ähnlich wie bei Flugzeugen, und die Drohnenpiloten habe auch alle einen Pilotenführerschein gemacht.“ Zu jeder Drohne gehört also immer ein menschlicher Pilot – doch wie lange noch?

Kommt bald die Transportdrohne?

Tatsächlich gibt es bei der KION Group schon erste Überlegungen zum Thema automatisierte Drohnen. Routineaufgaben wie Inventuren könnten die Fluggeräte künftig ganz alleine vornehmen, wenn das Kamerabild der Drohne mit entsprechender Software verknüpft wird, die beispielsweise Lagerbestände oder Paletten auslesen und scannen kann. Auch in Richtung Transportdrohnen gibt es Überlegungen. „Die Technik dafür existiert“, so Adrian Kronfeld. „Doch bestimmte Sicherheitsfragen sind noch ungeklärt. Man müsste etwa spezielle Flugkorridore einrichten und zahlreiche Richtlinien und Sicherheitsvorgaben erfüllen.“ Bis die Drohnen Flurförderzeuge ersetzen, ist es also noch ein sehr langer Weg. Aber die Überlegungen zeigen: Das Anwendungsgebiet der Drohnen wird sich in der Intralogistik fraglos bald ausweiten.