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Ein buchstäblich "bewegtes" Arbeitsleben

Offenheit und Wissensdurst, Dialogorientierung und Teamgeist: Diese Eigenschaften bildeten das Fundament der Karriere von Andreas Fäth, die 1970 mit einer Ausbildung zum Starkstromelektriker bei Linde Aschaffenburg begann. Als Senior Director Industrial Engineering bei der KION Group geht er in diesem September in den wohlverdienten Ruhestand. Andreas Fäth steht stellvertretend für etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die voller Begeisterung und Motivation bei der KION Group und ihren Tochtergesellschaften über Jahrzehnte hinweg Neues schaffen. Sein bewegtes Berufsleben hat ihn mehr als nur einmal um die ganze Welt geführt. Wir blicken mit ihm auf die wichtigsten Schlüsselerlebnisse seiner 50-jährigen Laufbahn zurück.

2020-09-24

Als Andreas Fäth am 1. September 1970 mit 16 Jahren als einer von 50 „Lehrbuben“ seine Ausbildung im Gabelstaplerwerk bei Linde Aschaffenburg begann, hatte er keinen Schimmer, welche aufregenden Wege sein Berufsleben noch für ihn bereithalten würde. Und wahrscheinlich war das auch gut so: „Mein Ausbilder hat mich damals sehr gefordert, aber eben auch gefördert“, erinnert sich Andreas Fäth. Disziplin und Sorgfalt waren an der Tagesordnung, sowohl bei den praktischen Tätigkeiten als auch beim handschriftlichen Ausfüllen der Berichtshefte, die damals sogar noch von den Eltern unterzeichnet werden mussten. „Es war eine sehr harte Zeit für mich, aber im wahrsten Sinne des Wortes auch eine sehr lehrreiche“, ist sich Fäth heute sicher. Nach dreieinhalb Jahren Ausbildung wurde er in die Elektrowerkstatt übernommen, wo er die nächsten Jahre als Geselle mit Elektroservice und Reparaturen beschäftigt war.

Aus Lernen wird Lehren

In der ersten Zeit als Geselle war die Technik noch nicht so weit fortgeschritten wie heute. Es gab lediglich „herkömmliche“ Maschinen, bei denen die Genauigkeit des Ergebnisses noch stark vom handwerklichen Können des Bedieners abhing. Doch schon bald vollzog sich ein Technologieschritt in der Staplerfertigung, der einen wichtigen Einfluss auf Fäths weitere Zukunft nehmen sollte: „Linde hatte zwei CNC-Fräsen der Firma ‚Milwaukee‘ aus den USA angeschafft und ich sollte die Maschinen anschließen. In der Bedienungsanleitung stand kein einziges deutsches Wort. Keiner der erfahreneren Kollegen konnte Englisch. Ich hatte durch die mittlere Reife zumindest die Grundkenntnisse. Also hab‘ ich mir ein Lexikon geschnappt und mir die ganzen Fachbegriffe eingeprägt – und bin so zum ‚Servicehäuptling‘ für die Maschinen gewachsen, weil ich der einzige war, der der Sprache mächtig war.“

Mit der neuen Technologie, die selbstständig präzise Formen aus Metall fräsen konnte, entstand im Werk ein neuer Bedarf an Qualifikation, sowohl bei den neuen Auszubildenden als auch bei den langjährigen Mitarbeitern. Fäth wurde Ausbilder für Jugendliche und Erwachsene in neuen Berufsbildern der Elektronik und Maschinentechnik. Eine Rolle, in der er sich von Anfang an wohlfühlte: „Bei meinem eigenen Ausbilder hatte ich erlebt, wie die Auszubildenden immer wieder für bestimmte Bereiche herangezogen und dort gefördert wurden. Damals habe ich verstanden: Nur wenn wir die jungen Leute und uns selber stetig weiterbilden, können wir besser werden.“ Als kurz darauf in Aschaffenburg eine neue, zentralisierte Lehrwerkstatt entstand, war Fäth an der Planung beteiligt und später auch mehrere Jahre als Ausbildungsleiter dieser Fachbereiche dort tätig.

Nur wenn wir die jungen Leute und uns selber stetig weiterbilden, können wir besser werden.

Andreas Fäth

Aus Technik-Knowhow wird Investitionsplanung

Wenige Jahre später, morgens auf dem Weg ins Büro, kam es zu einem weiteren Schlüsselerlebnis: Er musste mit ansehen, wie „seine“ geliebten Milwaukee-CNC-Fräsmaschinen aus den USA verschrottet wurden. „In dem Moment war mir klar: In Zukunft bist du kein Elektriker mehr. Jetzt machst du was anderes. Jetzt musst du gucken, dass du gescheite Maschinen kaufst.“ Zu den Maschinen, so sein Plan, sollte auch gleich die Qualifikation mitgekauft werden. „Denn es nützt ja nichts, sich ein tolles Auto zu kaufen, wenn man keinen Führerschein hat.“ Der Entschluss, in Richtung Investitionsplanung zu gehen, war schnell gefasst. Aber um ihn zu vollziehen, musste Fäth sich wieder neues Wissen aneignen. So machte er berufsbegleitend abends und an den Wochenenden Zusatzausbildungen, unter anderem zum Elektroingenieur im Fachbereich Antriebstechnik. Während dieser Zeit expandierte die Linde AG, die Dachgesellschaft von Linde Aschaffenburg, und kaufte ab Mitte der 80er Jahre europaweit neue Werke für die Staplerfertigung hinzu. Als Teil des Teams, das die Übernahme neuer Werke begleitete, war Fäth für die technische Ausstattung der Standorte verantwortlich.

Ein schicksalhaftes Souvenir

Schon lange wollte Fäth seinen Bruder besuchen, der in Peking beruflich tätig war. Eine internationale Werkzeugmesse bot dafür im April 1993 die perfekte Gelegenheit. Auf der Messe entdeckte er chinesisch-sprachige Broschüren einiger deutscher Hersteller und nahm sie als Andenken mit. Zurück in Deutschland landeten die Faltblätter auf Fäths Schreibtisch und waren erst einmal vergessen – bis im Juni 1993 eine chinesische Delegation das Werk von Linde Aschaffenburg besichtigte. „Plötzlich machte einer der Besucher halt an meinem Schreibtisch, blätterte durch die Broschüren, grüßte kurz und war wieder verschwunden“, erinnert sich Fäth. Wenige Tage später wurde er zur Geschäftsführung der Linde AG gebeten. Dort erfuhr er völlig unerwartet, dass die chinesische Delegation sich für ein Joint Venture mit der Linde AG entschieden hatte und ein Werk in China aufbauen wollte. Eine weitere Überraschung: Direktor Xin, der Chef der Delegation, wünschte explizit, dieses Projekt mit Fäth umzusetzen. Wie sich später herausstellte, war es genau dieser Xin gewesen, der an seinem Schreibtisch die Broschüren durchgeblättert hatte. Im November reiste Fäth also in einem Viererteam nach China – und die Planung des Linde-Produktionswerks in Xiamen nahm konkrete Formen an.

Eine deutsch-chinesische Liebesbeziehung

Sechs Jahre hat Fäth das Projekt intensiv begleitet. „Es war eine völlig neue Welt. Keiner von uns sprach Chinesisch oder hatte Erfahrung mit Projekten in dieser Größenordnung in Asien“, blickt Fäth zurück. Die Sprachbarriere war nicht die einzige Herausforderung. Nur wenige der Prozesse, die er aus Europa gewohnt war, waren in Asien eins zu eins umsetzbar. Aber gemeinsam mit seinem „Ziehvater“ Zhu Lin und dem Team fand Fäth stets eine Lösung. Am 1. September 1996 rollte der erste Linde Stapler „made in China“ vom Band.

Damit wäre seine Arbeit in Xiamen eigentlich beendet gewesen. Doch auch hier stellte sich heraus: Ein perfekt ausgestattetes Werk ohne qualifizierte Mitarbeiter ist wie ein Auto ohne Führerschein. Also erweiterte Fäth das Werk um ein Ausbildungszentrum und führte die duale Ausbildung ein. Ein absolutes Novum in China, wo die Mitarbeiter entweder praktische oder theoretische Erfahrung, aber nie beides hatten. Das änderte sich mit dem neuen Ausbildungskonzept – und mit der passenden „Workforce“ entwickelte sich Linde (China) zum damals größten ausländischen Anbieter von Material Handling Solutions im Reich der Mitte.

Wenn man ein Geschäft aufbauen will, geht das nur über die Menschen. Man muss die Menschen vor Ort kennen und sich ihre Akzeptanz erarbeiten. Das funktioniert nicht ‚par ordre de mufti‘, sondern nur durch Präsenz und Übernahme von Verantwortung im Team zum Erfolg der jeweiligen Ziele und Projekte.

Andreas Fäth

Wertvoller Wissenstransfer in die ganze Welt

Der internationale Wachstumsprozess der Linde AG und die technische Weiterentwicklung der Fertigungsprozesse sollten die bestimmenden Merkmale Fäths weiterer Karriere sein. In den Folgejahren reiste er kreuz und quer durch Asien und Europa, um die Planung, den Aufbau und das erste Produktionsjahr in verschiedenen Werken zu begleiten. Dabei brachte er auch neue Technologien wie das 2D-Laserschneiden (1993) oder automatisierte Fertigungslinien (2000) von Deutschland aus in die weltweiten Standorte. 2009 ging er für die Anbahnung des Baoli Werks in Jingjiang erneut nach China, diesmal als Repräsentant der 2006 gegründeten KION Group. 2011 startete dann die Projektarbeit am Baoli Werk, die sich bis Mitte 2012 erstreckte. Parallel betreute er 2010 bis 2020 die Entstehung und den Betrieb des KION India Werks in Pune. Außerdem brachten Fäth und sein Team das 3D-Laserschneiden (2018) sowie das Metallprinting und Lasermarking (2019) als neue Standards in die Standorte ein. Darüber hinaus war Fäth bis September 2020 mit der Prozess- und Werksplanung des neuen KION Werkes im ostchinesischen Jinan als Senior Projektplaner betraut.

Niemals „one man show“, immer Teamplayer

Eine internationale Karriere hatte der heimatverbundene Aschaffenburger eigentlich niemals angestrebt: „Es hat sich einfach so entwickelt,“ sagt er zurückblickend. Dennoch war seine Anwesenheit vor Ort ein maßgeblicher Faktor für den Erfolg der Projekte. „Wenn man ein Geschäft aufbauen will, geht das nur über die Menschen. Man muss die Menschen vor Ort kennen und sich ihre Akzeptanz erarbeiten. Das funktioniert nicht ‚par ordre de mufti‘, sondern nur durch Präsenz und Übernahme von Verantwortung im Team zum Erfolg der jeweiligen Ziele und Projekte“, so seine Überzeugung. Ebenso wichtig seien die Zusammenarbeit im Team, eine offene Kommunikation und eine gute Arbeitsatmosphäre: „Ich habe gelernt, dass ich als Führungskraft Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit bieten muss, sich einbringen zu können. Mit dieser Herangehensweise habe ich von den Menschen meistens viel mehr zurückbekommen, als ich erwartet habe.“ So ist der berufliche Werdegang von Andreas Fäth ein anschauliches Beispiel, wie Zusammenarbeit als zentraler Wert der KION Group einzigartige, weltumfassende Geschichten schreiben kann – im vorliegenden Fall sogar 50 Jahre lang.