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Die Wahrheit über Automatisierung in der Intralogistik

Automatisierung macht angeblich unflexibel, vernichtet Arbeitsplätze, schafft Abhängigkeiten oder ist aufwändig und teuer. So lauten gängige Vorurteile über diese Technologien. Welche dieser Ängste und Sorgen sind berechtigt, in welchen Mythen steckt ein bisschen Wahrheit? Wir haben zwei unserer größten Automatisierungsexperten bei KION um ihre Einschätzungen gebeten. Einige der Erkenntnisse sind überraschend.

2024-05-08

Karoline Gellrich

Wir diskutieren mit Gunter Van Deun und Frank Heptner, zwei der versiertesten Experten für Automatisierung bei der KION Group. Sie sollen uns erklären, was wahr ist und was unwahr an vielen Gerüchten, Vorurteilen und Ängsten, die es rund um das Thema Automatisierung gibt. Auch viele unserer KION Kunden berichten uns von Unsicherheiten, die es in ihren Unternehmen gibt: Ist die Automatisierungstechnologie wirklich schon ausgereift? Hier gibt’s die Stellungnahme unserer Spezialisten zu fünf typischen Vorurteilen. Im zweiten Teil lesen Sie dann den Rest – mit fünf weiteren Experteneinschätzungen.

Die häufigsten Ängste im Zusammenhang mit Automatisierung in der Intralogistik

Angst Nummer 1: Die Technologie ist noch nicht ausgereift!

Es gibt Leute, die behaupten, die Automatisierungstechnologie sei den Kinderschuhen noch nicht entwachsen und man solle lieber noch ein paar Jahre die weitere Entwicklung abwarten, bevor man Projekte tatsächlich angeht. Stimmt das? Unsere Experten sagen: Nein, das stimmt überhaupt nicht!

„Natürlich gibt es kontinuierliche Entwicklungen, um Produkte und Lösungen immer noch weiter zu verbessern“, sagt Gunter Van Deun – aber die Technik sei den Kinderschuhen längst entwachsen. AGVs (automated guided vehicles, fahrerlose Transportfahrzeuge) zum Beispiel gibt es schon seit den 1950er-Jahren, und viele damals installierte Anlagen haben jahrzehntelang reibungslos funktioniert und ihre Aufgaben erfüllt.

In den kommenden Jahren werde Künstliche Intelligenz ein zusätzlicher Treiber der Automatisierung sein und vermutlich einen neuen Entwicklungsschub bringen. Dabei werde es darum gehen, die Effizienz noch mehr zu erhöhen und den Wartungsbedarf weiter zu senken. „Aber die Technik ist heute absolut ausgereift in dem Sinne, dass sie verfügbar und einsatzbereit ist und unseren Kunden sofort helfen kann, ihre Prozesse zu verbessern“, so Van Deun.

Angst Nummer 2: Automatisierung braucht (zu) viel Platz!

Immer wieder hört man die Befürchtung, dass automatisierte Geräte besonders viel Platz im Lager benötigen, zum Beispiel zum Manövrieren. Stimmt das? Können Menschen auf engem Raum besser arbeiten als Maschinen – und eignet sich die Automatisierung nur für Unternehmen, denen besonders viel freie Fläche in ihren Lagern zur Verfügung steht? Nein, sagen unsere Experten: Das stimmt nicht!

„Das Gegenteil ist wahr“, sagt KION Experte Frank Heptner. Während manuelle Lager früher vor allem in die Breite gebaut wurden, wachsen moderne und automatisierte Lager nach oben – teilweise werden sie sogar in schwindelerregende Höhen gebaut. Automatisierte Palettenhochregallager beispielweise erreichen inzwischen Höhen von mehr als 40 Metern – das spart entsprechend Platz am Boden. Und das Manövrieren auf engem Raum? Können AGVs genauso gut oder sogar besser als Menschen, die z.B. einen Gabelstapler steuern.

Angst Nummer 3: Durch Automatisierung gehen Arbeitsplätze verloren

In manuellen Lagern waren früher viele Arbeiter beschäftigt, zum Beispiel als Staplerfahrer. In automatisierten Lagern arbeitet häufig überhaupt niemand mehr – oder nur noch ganz wenige Spezialisten, die Aufgaben als Supervisor erledigen oder Software-Optimierungen am Computer vornehmen. Da liegt die Schlussfolgerung nahe, dass durch Automatisierungsprojekte in der Intralogistik viele Arbeitsplätze verloren gehen und Mitarbeiter entlassen werden. Stimmt doch, oder? Unser Experte sagt: Ganz so einfach ist es nicht.

„Dieses Vorurteil bekomme ich sogar zuhause in der Familie zu hören“, sagt Gunter Van Deun von KION, „aber ich stimme der Behauptung nicht zu.“ Warum? Weil in Zeiten des Fachkräftemangels heutzutage fast alle Unternehmen händeringend nach Personal suchen. Vielerorts fehlen Mitarbeiter, so dass Arbeit häufig liegen bleibt und Aufgaben nicht erledigt werden können. Das können Firmen nicht hinnehmen – vor allem nicht, wenn sie wachsen wollen. „Automatisierung ist für viele Unternehmen die einzige Möglichkeit, ihre Lager überhaupt zuverlässig zu betreiben oder gar den Durchsatz zu erhöhen“, so Van Deun.

Deshalb werde infolge von Automatisierungsprojekten in der Regel kein einziger Mitarbeiter beim Kunden entlassen. „Die Menschen übernehmen dann einfach andere Jobs in der gleichen Firma“, sagt Van Deun. Meist seien die neuen Aufgaben deutlich angenehmer für die Mitarbeiter – denn automatisiert werden in der Regel die langweiligsten, sich ständig wiederholenden Arbeitsschritte, auf die im Lager sowieso niemand Lust hat.

Angst Nummer 4: Automatisierung führt zu einem höheren Unfallrisiko

Das Klischee besagt, dass der Mensch der Übermacht der Technik manchmal nichts entgegensetzen kann – und den riesigen und schweren Anlagen in Gefahrensituationen einfach auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Stimmt das, stellt die Automatisierung wirklich eine Gefahr für Leib und Leben der Lagerangestellten dar, und haben automatisierte Anlagen ein höheres Unfallrisiko als manuelle Lager? Völliger Quatsch, sagt unser KION Experte Frank Heptner.

„Nein, Automatisierung führt definitiv nicht zu höherem Unfallrisiko“, so Heptner. Tatsächlich seien automatisierte Systeme sogar deutlich weniger fehleranfällig und unfallgefährdet als von Menschen gesteuerte Fahrzeuge. „Bei Fahrern kann es immer passieren, dass sie kurz abgelenkt werden oder sie einen Moment lang unachtsam sind“, sagt Heptner. Bei automatisierten Anlagen sei ein solches menschliches Versagen komplett ausgeschlossen.

„Moderne Anlagen arbeiten nahezu fehlerlos“, sagt Heptner. Unfälle seien zwar natürlich nie völlig auszuschließen – aber sie kommen deutlich seltener vor als in manuell betriebenen Lagern.

Das Gespräch fand in Antwerpen statt

Viel Licht, viel Holz, viele Treppen – und fast keine Wände: So sieht es im Bürogebäude von KION im belgischen Antwerpen aus. In einem riesigen Großraumbüro, das sich über mehrere Etagen erstreckt, arbeiten Expertinnen und Experten aus vielen verschiedenen Ländern an ihren Computern oder sitzen zusammen mit Kollegen in einer der vielen Besprechungsnischen. Hier ist eine der wichtigen Schaltzentralen insbesondere für mobile Automatisierungslösungen der KION Group und ihrer Marken Linde Material Handling, Dematic und STILL. Hier trafen wir Gunter Van Deun und Frank Heptner zum Gespräch - hier gibt es die Vollversion.

Angst Nummer 5: Reparaturen an automatisierten Lagern sind teuer und aufwendig

Es klingt logisch: Wenn in einer hochkomplexen, automatisierten Anlage etwas kaputtgeht, dann ist die Reparatur deutlich schwieriger und zeitaufwändiger als in einem manuell betriebenen Lager, wo ein Gabelstapler schnell durch einen anderen ersetzt werden kann. Aber sind Reparaturen an automatisierten Lagern tatsächlich so teuer und aufwendig, wie man es manchmal als Behauptung hört? Dieses Vorurteil stimmt teilweise, sagt unser KION Experte Gunter Van Deun.

„Es ist richtig, dass man für den Betrieb und die Wartung komplexer Automatisierungsanlagen extra ausgebildete Spezialisten benötigt“, sagt Gunter Van Deun. Häufig werde davon ausgegangen, dass Spezialisten teuer sind – und deshalb auch die Wartungskosten automatisierter Anlagen in die Höhe schnellen. Tatsächlich seien aber nur sehr selten überhaupt Reparaturen nötig, so Experte Van Deun: Digitales Monitoring der Systeme erlaube „predictive maintenance“ (vorbeugendes Warten) und Teile würden vor einem Defekt routinemäßig ausgetauscht, bevor sie überhaupt Fehler verursachen können.

Außerdem seien die Workflows in automatisierten Lagern im wahrsten Sinne des Wortes reibungslos: Durch die permanente Optimierung von Geschwindigkeiten werde ein Fahrzeug z.B. weniger stark beschleunigt und auch weniger stark abgebremst als in einem manuellen Lager. Beides schont die in den Fahrzeugen verbauten Teile – ein weiterer Grund, warum nur selten Reparaturen nötig sind. Weil viele Korrekturen außerdem per Software vorgenommen werden können, seien die Wartungskosten eines automatisierten Lagers unterm Strich günstiger als in einem manuellen Lager.

Viele Ängste sind unberechtigt, viele Vorurteile falsch

Unsere Beispiele zeigen: Viele weit verbreitete Annahmen über die vermeintlichen Nachteile der Automatisierung sind schlichtweg unwahr. Demnächst gehen unsere beiden Experten Gunter Van Deun und Frank Heptner noch auf fünf weitere häufig geäußerte Vorurteile ein. Dann geht es zum Beispiel um die Frage, ob Automatisierung wirklich so teuer ist, wie man gemeinhin annimmt. Und darum, ab welcher Unternehmensgröße sich das Nachdenken über Automatisierung im Lager wirklich lohnt.