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Urbane Logistik: Die neue Einzelhandels-Realität

Teil 4 unserer Serie zur "Urbanen Logistik":

Micro-Fulfillment von Dematic

Einzelhandel im Wandel: Überall auf der Welt müssen Verkäufer die Art und Weise, wie sie ihre Produkte lagern, bereitstellen und an den richtigen Ort bringen, neu denken. In den Städten sieht ihre Zukunft vermutlich „hyperlokal“ aus, mit vielen verschiedenen Lagern – und wird nicht funktionieren ohne ein umfassendes System mit intelligenter Software und Micro-Fulfillment-Centern.

2020-11-04

Alles, zu jeder Zeit. Das ist mittlerweile unser Anspruch als Kunde und Einkäufer geworden. „Der Online-Handel suggeriert uns die komplette Auswahl an Produkten“, sagt Alex Dale, Global Retail Solution Consultant bei Dematic. Die Zahl der Waren, die sich individuell an ganz bestimmte Käufer richten, ist in den vergangenen Jahren explodiert, man denke allein an die Geschmacksrichtungen von Joghurt oder die Varianten von Fertigpizza – und multipliziere das mit spezialisierten Sorten wie laktose- oder glutenfreien Angeboten. Unser Kundenverhalten hat sich verändert, aber auch unser Anspruch und unsere Einkaufskultur. Wer all das jederzeit für den Kunden parat haben will, braucht ein großes Lager.

Wie groß? Nun, bekanntlich lieben Journalisten Fußballfelder, weil sie sich ideal dazu eignen, Flächengrößen verständlich zu machen: In diesem Fall sind es 13 Fußballfelder. Das wäre der Platz, den ein typisches, großes Distributionslager benötigt. Das passt, wie sich direkt jeder vorstellen kann, nicht in eine Stadt hinein. Es ist das Grundproblem urbaner Logistik: Alles jederzeit erreichbar ist nicht möglich – also muss transportiert werden.

Die Zahl der Waren, die sich individuell an ganz bestimmte Käufer richten, ist in den vergangenen Jahren explodiert. Wer all das jederzeit für den Kunden parat haben will, braucht ein großes Lager.

Der typische Einkaufskorb ist kleiner geworden

Ein einzelnes, großes Lager weit entfernt aber reicht auch nicht, denn die Kunden haben sich heutzutage daran gewöhnt, ihre Bestellung schnell zu erhalten, oder sich per „Click and collect“ noch vom Büro aus das Abendessen zusammenzustellen und auf dem Nachhauseweg abzuholen. „Der typische Warenkorb pro Einkauf ist kleiner und individueller geworden“, sagt Dale. Diese Gleichzeitigkeit der Trends wird zur Herausforderung für den Einzelhandel. Benötigt würde eine Art „unendliches Regal“. Wörtlich genommen ein Ding der Unmöglichkeit. Im übertragenen Sinn aber vielleicht die Zukunft.

Eine der Lösungen, die sich anbieten, sind die sogenannten Micro-Fulfillment-Center: kleine, automatisierte Lager, die wenig Platz benötigen. Genauer gesagt etwa ein Zehntel eines Fußballfelds. Klein genug, um in die hinteren Räume eines Supermarkts zu passen. Oder sich, platzsparend und elegant, direkt in die Nachbarschaft zwischen Wohnhäuser zu setzen. „Überall in der Innenstadt oder in den Vororten“, sagt Dale. „Entscheidend ist, dass das Inventar näher an den Kunden rückt.“ Nicht in Form eines einzelnen Mikro-Lagers – sondern in Form eines gesamten Netzwerks an Lagern. „Der Schlüssel ist nicht das Lager im Geschäft“, betont Dale, „sondern die Vernetzung von allem. Das gesamte urbane Ökosystem.“ Logistik innerhalb der Stadt wäre dadurch zielgerichtet, mit insgesamt kürzeren Wegen, vor allem aber gestaffelt, je nach Bedarf und Anlass: Je häufiger ein Produkt nachgefragt ist, desto näher liegt es bereit.

Alle wichtigen Produkte auf kompaktem Raum

Das allerdings klingt in der Theorie leichter, als es sich praktisch immer umsetzen lässt: Wie exakt und zeitgenau Nachschub und Organisation funktionieren müssen, war im Frühling 2020 fast weltweit zu beobachten, als die unerwartete Pandemie zu ebenso unerwartetem Einkaufsverhalten führte: Plötzlich standen die Kunden in Europa, Asien und Amerika vor leeren Regalen, weil Produkte, die ansonsten in kleinen Mengen über einen Monat hinweg verteilt gekauft wurden, Massenabsatz erfuhren – wie Klopapier, Mehl und Seife. Unternehmen und Politiker betonten prompt, es gebe überhaupt keinen Mangel an Waren – sie seien nur gerade nicht dort, wo die Kunden sie kaufen wollen, nämlich im Laden vor Ort. Sondern stattdessen etwa im Distributionszentrum. Es war ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eng getaktet Lieferketten heutzutage funktionieren, und wie fragil sie bei unerwarteten Ereignissen wie einer Pandemie sein können. Und wie wichtig das Zusammenspiel verschiedener Lager im urbanen Ökosystem der Logistik ist.

Warennachschub und -Organisation müssen exakt und zeitgenau funktionieren. Wie eng getaktet Lieferketten heutzutage sind, und wie fragil sie bei unerwarteten Ereignissen sein können, hat die Corona-Pandemie gezeigt: Plötzlich standen Kunden in Europa, Asien und Amerika vor leeren Supermarktregalen.

Micro-Fulfillment-Center setzen dem zentralen Distributionszentrum deswegen ihren ganz eigenen, kompakten Charme entgegen: Die Systeme von Dematic lassen sich in bis zu drei verschiedene Temperaturzonen unterteilen, inklusive Kühlregal und Tiefkühlregal. Multishuttles fahren durch die Gänge und bringen das gewünschte Produkt an die Picking-Station, wo von einem Menschen dann die Bestellung finalisiert wird. Der Effekt: Läden können auf elegante Weise ihr Sortiment vergrößern, ohne dass sie dafür tatsächlich mehr Platz brauchen. Ein solch kleines Lager hält problemlos etwa 80 Prozent all jener Produkte bereit, die von den Kunden beim Einkauf erwartet werden.

„Jedes Land tickt anders“

Um den Anspruch der Kunden tatsächlich zu befriedigen, ist aber vor allem eine Software und Datenanalyse vonnöten: „Die Wünsche der Kunden ändern sich ja konstant“, führt Dale aus. Im Sommer etwa sollte ein Supermarkt mehr Eiscreme führen: „Es geht nicht nur um Automatisierung, es geht auch um Software und Service.“ Noch vor ein paar Jahren verstand der Handel unter „Digitalisierung“ vor allem die Software im Warenlager selbst, inzwischen geht es um die digitale Verbindung vom Produzenten bis zum Kunden. Der möchte heute spontan im Supermarkt vorbeischauen, sich morgen per „Click and Collect“ bereits im Büro seinen Einkaufskorb online zusammenstellen und auf dem Nachhauseweg abholen, und übermorgen direkt Lebensmittel nach Hause geschickt bekommen. Um diesen Multi-Channel-Ansatz der Kunden erfüllen zu können, hilft das Micro-Fulfillment-Center. Aber richtig schlagkräftig wird es erst mit der Anbindung an eine digitale Infrastruktur und damit auch an das große Distributionszentrum vor der Stadt.

In Zukunft werden etwa 60 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Zentren leben. Die Trends der vergangenen Jahre verstärken sich eher noch. Und das, obwohl nach wie vor in zahlreichen Ländern ein durchaus deutlich unterschiedliches Einkaufsverhalten herrscht. Das erwähnte „Click and Collect“ zum Beispiel ist in England bereits stark in Mode, in Deutschland hingegen noch wenig verbreitet. In den USA wiederum sind „Drive Through“-Angebote seit Jahrzehnten ein Thema. „Insgesamt ist das natürlich eine Herausforderung für globale Einzelhändler“, sagt Dale. „Jedes Land tickt da ein wenig anders.“

Das Prinzip des „Click and Collect“ ist in England bereits stark in Mode, in den USA wiederum sind „Drive Through“-Angebote seit Jahrzehnten ein Thema.

Verstärkende Trends

Gleichzeitig gibt es eben doch Trends, die sich weltweit etablieren: Online-Bestellung von Lebensmitteln zum Beispiel. Die Zahl der Personen, die nicht mehr aus dem Haus gehen wollen, steigt; weil sie beschäftigt sind – oder weil sie älter werden. Hinzu kommt die erhöhte Erwartungshaltung an Geschwindigkeit und Verfügbarkeit. Lange Zeit hatten Supermärkte in Nordamerika gar nicht die Notwendigkeit, in strategisch vernetzten Ökosystemen mit dezentralen Zentren zu denken – sie hatten ohnehin viel Platz. Die Urbanisierung verändert auch hier die Parameter. „Der Einzelhandel wird überall genauer auf seine Lieferkette schauen“, prognostiziert Dale. „Wir sehen eine klare Entwicklung von zentralisierten Strategien zu hyperlokalen Standorten.“ Das verändert die logistischen Anforderungen innerhalb der Stadt.

Micro-Fulfillment ist Ausdruck all dieser Entwicklungen. Es ist das Symbol einer Marktveränderung, die dem Einzelhandel Kosten reduziert und neue Geschwindigkeiten ermöglicht. „Wir verringern die Distanz zur Letzten Meile“, sagt Dale.

Demnächst

Lesen Sie demnächst im 5. Teil der Serie „Urbane Logistik“: Vernetzen, Daten und Software als Erfolgsfaktor für urbane Logistik

Video

Markus Schmermund über Lösungen, die die Intralogistik für die Letzte Meile bieten kann.