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Das Natürlichste der Welt

In der Produktion ist Automatisierung nichts Besonderes mehr. Abtransportiert werden die Waren aber meist noch immer von Menschen. Dosenhersteller Massilly geht einen anderen Weg – und stellt immer stärker auf robotergesteuerte Stapler um.

2017-01-06

Die Dosen fahren Achterbahn. Silbern glitzernde Blechteile werden von scheinbar endlosen Fließbändern durch die geräumige Fabrikhalle von Massilly im zentralfranzösischen Cluny gezogen. Dazwischen arbeiten vollautomatisierte Maschinen an den Details: Deckel stanzen, dünne Blechplatten formen, verschweißen, bedrucken. Ein ständiges Klopfen, Zischen, Stampfen und Wummern. „Eine Dose sieht so einfach aus, dabei ist es ein technisch höchst aufwändiger Alltagsgegenstand“, sagt Christophe Marteau, der Technische Geschäftsführer (CTO) von Massilly. Er brauche präzise Dimensionen, Hitzebeständigkeit, Elastizität.

Marteau setzt dabei seit Jahren bewusst auf Automatisierung: „Wenn wir uns gegenüber der Konkurrenz aus den Schwellenländern absetzen wollen, haben wir nur wenige Hebel.“ Qualität ist einer davon, eine möglichst schlanke Fertigung der andere. „Automatisierung schafft vielleicht keine neuen Arbeitsplätze“, räumt er ein: „Aber sie sichert diejenigen, die schon da sind.“ Marteau bleibt in einigen Schritten Abstand neben einer Packstation stehen, wo ein großer Roboterarm frisch befüllte Kartons voller Deckel greift und sie auf Paletten packt. Daneben parkt regungslos ein roter Hochhubwagen mit wuchtigem Körper, breiter Gabel und einem Aufbau mit Leuchten und Elektronik. Sobald eine Palette komplett ist, setzt sich der Linde L-MATIC in Bewegung, vollführt eine halbe Drehung, lädt dann die Palette auf und fährt sie einige Meter hinüber zu der Rampe, die den Übergang von der Fabrik ins Hochregallager markiert. Alles automatisch, gesteuert mit Robotik.

In den Fabriken schreitet die Automatisierung immer weiter voran: Roboter arbeiten nicht mehr nur in Käfigen an Fließbändern, Maschinen kommunizieren miteinander, eine typische Autoproduktion zählt bereits jetzt mehr Roboter als Menschen. Das Schlagwort „Industrie 4.0“ steht für einen einschneidenden Wandel – gerade Routinejobs eignen sich dafür, automatisiert zu werden. Zwischen den Förderbändern bei Massilly laufen zwar zahlreiche Fabrikarbeiter, aber kaum jemand sortiert Teile oder stemmt Lasten; diese Arbeiten übernehmen Maschinen. Die Hauptaufgaben der Mitarbeiter sind: überwachen, prüfen und bei Bedarf schnell korrigieren. Der französische Dosenfabrikant zählt insgesamt 20 Fabriken in 18 Ländern und beschäftigt weltweit etwa 1.300 Mitarbeiter. In Frankreich ist er Marktführer in der Dosenfertigung, international auf Rang drei, außerdem der drittgrößte Hersteller von Blechdeckeln.

Bereits 2012 hat Massilly im Stammwerk damit begonnen, auch robotergesteuerte Fahrzeuge zu testen. Anfangs ging es darum, steigende Auftragszahlen zu bewältigen: Eine Milliarde Deckel produzierte das Unternehmen 2011,inzwischen hat es die Produktion auf etwa zwei Milliarden verdoppelt. In der Zukunftstechnik sieht Marteau großes Potential. Im Frühjahr 2016 stockte Massilly seine Flotte der Linde Robotic Fahrzeuge auf vier auf. „Unsere Produktion verändert sich immer wieder“, sagt Marteau. Das bedeutet auch Veränderung im Materialfluss und im Layout der Fabrik. Hätte man den Weg zwischen Packstation und Warenlager nicht auch mit einem Förderband überbrücken können? Marteau schüttelt den Kopf: „Dann wären wichtige Wege blockiert. Die Fahrzeuge geben uns Flexibilität, sie können jederzeit auch eine ganz andere Route fahren.“

Voraussetzung dafür ist die Geo-Navigation des französischen Robotik-Spezialisten Balyo, mit dem Linde 2015 eine Partnerschaft geschlossen hat. Dank seiner Technik können sich die automatisierten Stapler selbständig im Raum orientieren. Sie brauchen weder Laserreflektoren noch Schienen. Stattdessen nutzen sie örtliche Gegebenheiten wie Mauern und Regale sowie die zuvor einprogrammierte zweidimensionale Karte des Lagers zur Orientierung. So können sie auch problemlos längere Strecken bewältigen: Die zwei neuesten Hochhubwagen etwa transportieren ihre Paletten vom anderen Ende der Fabrik zur Lagerhalle – mit beachtlicher Geschwindigkeit. Fast ohne aufzublicken weicht eine Fabrikmitarbeiterin einem der Fahrzeuge aus, als seien selbstfahrende Flurförderzeuge das Natürlichste der Welt. Was hier in der Fabrik auch der Fall ist. Nicht nur der Transport laufe so flüssiger, auch die Zahl der Unfälle habe deutlich abgenommen: „Ein Linde Robotics Stapler fährt immer gleich, immer zuverlässig“, unterstreicht Marteau. Mitarbeiter, die Geräte führen, brauchen volle Konzentration beim Anfahren oder Abschätzen der Geschwindigkeit. Das automatisierte Fahrzeug hingegen verschätzt sich nie.

Mittlerweile kommen Vertreter namhafter Unternehmen aus der ganzen Welt, um sich das anzusehen und Marteau nach seinen Erfahrungen zu befragen. Denn die Geräte bei Massilly übernehmen allesamt Standardaufgaben: Was die vier Flurförderzeuge in Cluny leisten, könnten sie wohl auch in jedem anderen Werk der Welt verrichten. Für die Besucher sind sie gerade deswegen eine Attraktion. Marteau hingegen richtet den Blick bereits auf die Zukunft: Das Warenlager würde sich durchaus auch für automatisierte Fahrzeuge anbieten, bemerkt er. Beim Weg zurück in sein Büro passiert Marteau zwei Flurförderzeuge, die von Mitarbeitern gesteuert werden. Gibt es hier eine besondere Schwierigkeit, die mit Automatisierung nicht zu lösen wäre? „Die werden manuell gesteuert, weil wir nicht alles auf einmal automatisieren können“, antwortet Marteau. „Das wird aber unser nächster Schritt.“