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Physische Testverfahren für die Gabelstapler der KION Marken

Gabelstapler sind komplexe, leistungsfähige und belastbare Maschinen. In zahlreichen Einsatzgebieten leisten sie Außergewöhnliches. Damit die hohe Funktionalität, Sicherheit und Langlebigkeit der Stapler jederzeit gewährleistet ist, durchlaufen die Fahrzeuge im Vorfeld zahlreiche Tests. Mit ihren Erfahrungswerten aus jahrzentelangem Staplerbau haben die Marken der KION Group Testprogramme entwickelt, um die Flurförderzeuge fit für die Praxis und jede erdenkliche Situation zu machen.

2022-06-08

Eine einsame Rundstrecke, ein anhaltendes Motorgeräusch und immer wieder das Holpern und Poltern von Vollgummireifen auf hartem Untergrund – es ist eine ungewöhnliche Szene, die sich im Testzentrum in Aschaffenburg bei Linde Material Handling, einem Tochterunternehmen des Intralogistikanbieters KION, abspielt: Geführt über eine Stahlseilanbindung, die mit dem Drehpunkt in der Mitte des Parcours verbunden ist, spult der unbemannte und ungefederte Gabelstapler seit Tagen seine Runden ab. Es handelt sich um eine Art Feuertaufe – das Flurförderzeug befindet sich im Entwicklungsprozess und wird jetzt unter extremen Bedingungen erprobt: Schwellen machen den Rundlauf zur Holperstrecke, die für das gesamte Fahrzeug mit all seinen Komponenten sehr hohe Belastungen generiert. Die Prüfung wird zum Teil mit maximaler Ausladung des Fahrzeug, aber auch ohne Gewicht auf den Gabelzinken durchgeführt, um unterschiedliche Belastungsszenarien darzustellen.

Auch beim KION Tochterunternehmen STILL in ihrem Testzentrum in Hamburg wird diese Art Test durchgeführt: Auf einem Rundkurs mit sechszehn Metern Durchmesser werden hier pro Fahrzeug tausende Runden gedreht. Zusätzlich werden in Hamburg auf sogenannten „Schlechtwegstrecken“ auch gefederte Fahrwerke für Schleppfahrzeuge getestet. Die KION Group besitzt an seinen beiden traditionellen Staplerstandorten in Deutschland eine umfassende Infrastruktur, um ihre Fahrzeuge „auf Herz und Nieren“ zu überprüfen.

Eine der "Schlechtwegstrecken" bei STILL in Hamburg.

Fahrzeugtests sind aus der Automobilbranche allgemein bekannt: Die Bilder von Crash Test Dummys, die in Zeitlupenaufnahmen in Airbags fliegen, hat wohl jeder schon einmal gesehen. Doch in den KION Testzentren spielen sich Szenen ab, die nicht weniger spektakulär sind: Schwere Holzbündel, die auf Fahrzeugdächer niederprallen oder Gabelstapler, die mit einem dicken weißen Eispanzer auf dem Gegengewicht umherfahren. Das alles dient gleich mehreren Zwecken: die Funktionalität des Gabelstaplers zu gewährleisten, ihn so sicher zu machen wie nur möglich – und ihn auf ein langes Staplerleben mit 20.000 Betriebsstunden vorzubereiten.

Gefährliche Szenarien gezielt herbeiführen

Seit mehr als 35 Jahren führen die Staplermarken von KION aufwendige Tests sowohl in der Entwicklungs- als auch in der Serienphase durch: Sicherheitssysteme, Assistenzsysteme, Antriebstechnik, Chassis und hydraulische Systeme – nichts wird außen vorgelassen. Viele tausend Teststunden muten die Experten in Aschaffenburg und Hamburg den verschiedenen Komponenten und dem Gesamtfahrzeug zu, um alle Anforderungen zu erfüllen und eine umfassende CE-Konformität zu gewährleisten. Arbeiten sämtliche Komponenten am Stapler so, wie sie sollen? Entspricht das Fahrzeug allen ergonomischen Erfordernissen? Und wie gut ist der Stapler auf Risikosituationen im Warenlager vorbereitet?

Gefährliche Szenarien werden gezielt herbeigeführt.

Letzteres wird beispielsweise durch Standsicherheitsversuche gewährleistet, bei denen Linde MH und STILL die Gabelstapler auf eigens dafür vorgesehene Plattformen positionieren. So simulieren sie auf einer neigbaren Stahlplatte einen der kritischsten Momente im intralogistischen Alltag: weit ausgefahrener Hubmast, große Lasten, unebener Grund – Momente, in denen so einiges schiefgehen kann. Durch die Plattformen werden alle denkbaren Optionen durchgespielt: hohe Neigungswinkel mit niedrigen Belastungen, niedrige Winkel mit hohen Belastungen, oder auch Extremsituationen, in denen besonders schwere Ware weit oben auf der Gabel liegt und der Stapler durch unkoordinierte Fahrbewegungen ins Wanken geraten könnte. Anhand des Versuchsaufbaus können all diese Gefahren in sicherem Umfeld erprobt werden. Die Erkenntnisse aus den Tests fließen dann wieder in die Entwicklung mit ein, um die Standsicherheit gezielt zu verbessern.

Ein ganz anderes, nicht minder gefährliches Szenario aus dem Lageralltag: Was, wenn sich im Hochregallager Ware aus den oberen Bereichen löst und auf den Gabelstapler herunterfällt? Um dies nachzustellen, kommt der sogenannte „Impact Drop Test“ zur Anwendung. Hierbei wird die Widerstandsfähigkeit des Schutzdachs überprüft. Schwere Holzbündel werden gezielt auf den Stapler fallengelassen, es knallt – und anschließend wird die bleibende Verformung des Materials vermessen. Unterschreitet sie den Normwert, gilt der Test als bestanden.

Der „Impact Drop Test“.

Einzelne Komponenten auf dem Prüfstand

Nicht nur das gesamte Fahrzeug, sondern auch einzelne Komponenten werden gezielt in Sachen Funktionalität, Sicherheit und Langlebigkeit getestet. So wird zum Beispiel der Hubmast von den Expertinnen und Experten in Aschaffenburg sowie Hamburg einer besonders harten Prüfung unterzogen: In den dafür vorgesehenen Komponentenprüfständen führt er zwölf bis 15 Wochen lang typische Arbeitsbewegungen durch. Für die Freigabe müssen diese Zyklen mehrere zehntausendmal ausgeführt werden – das sind insgesamt mehr als 100.000 Hübe, immer mit maximaler Hubgeschwindigkeit und Hublast. Ähnliches passiert mit den Antriebsachsen beim Test auf der Hydropulsanlage, in der das Bauteil an den kritischen Stellen gezielt so belastet wird, wie es dem anspruchsvollen Alltag im Einsatz entspricht – nur eben im Zeitraffer.

Elektrische Komponenten kommen ebenfalls auf den Prüfstand – wie zum Beispiel die Umrichter, die im elektrisch angetriebenen Stapler die elektrische Leistung der Batterien an die Antriebskomponenten weiterleiten und regulieren. Dieses Herzstück eines jeden E-Antriebs wird in Hamburg in einer eigens dafür vorgesehenen Vorrichtung vierundzwanzig Stunden, dreihundertfünfundsechzig Tage, rund ums Jahr einer Dauerbelastung ausgesetzt. Bei maximaler Performance werden die Umrichter also permanentem Stress unterzogen, um sicherzugehen, dass die eingesetzten Bauteile auch später im Kundeneinsatz allen Belastungen standhalten.

Unter Dauerbelastung werden die Stapler geprüft.

Ein hochspannender Crashtest

Auch die Lithium-Ionen-Batterien, die in den Fahrzeugen der KION Staplermarken zum Einsatz kommen, sind Gegenstand von Testverfahren. Teilweise sind dies gesetzlich vorgegebene Prüfungen, die sich auf die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Batterien beziehen. So werden diese in Hamburg und Aschaffenburg in eigenen Prüfzyklen getestet, gezielt belastet und die Leistung immer wieder überprüft. Oft geht die KION Group auch deutlich weiter, als es der Gesetzgeber vorsieht. Ein extremes Beispiel bietet ein Test in Aschaffenburg auf offenem Feld: Verbaut in einem kleinen, kompakten E-Stapler wartet die Li-Ion-Batterie auf der Testfläche auf einen Schwerlaststapler, der auf maximale Geschwindigkeit beschleunigt und mit einem Gesamtgewicht von ca. 24 Tonnen ungebremst in seinen „kleinen Bruder“ hineinfährt. Die Zinkenspitze der Gabel prallt exakt dort auf die Karosserie, hinter der die Batterie sitzt, es knirscht und scheppert. Doch nicht nur bleiben Funken aus – das Gehäuse des Batterietroges hält den enormen Kräften problemlos stand. Dies ist definitv keine typische Alltagssituation im Warenlager, doch die KION Group hat auch diesen Extremfall erprobt.

Testsimulationen unterschiedlicher Umweltbedingungen

Anforderungen variieren mit der Umwelt, und die Gabelstapler der KION Group sind überall auf der Welt im Einsatz. An den Fischereihäfen in Norwegen, in denen STILL Gabelstapler genutzt werden, herrschen bitterkalte Temperaturen. In anderen Regionen und Produktionsumgebungen wie zum Beispiel in Gießwerken geht es wiederum besonders heiß zu. In Aschaffenburg und Hamburg werden auch diese Extrembedingungen simuliert. Denn große Hitze kann Gabelstaplern ordentlich zusetzen: Die Funktionsweise des Kühlkonzepts muss abgesichert sein. Also setzen die Experten auf Tests, die Flurförderzeug und Fahrer an ihre Grenzen bringen. In einem eigens dafür vorgesehenen Parkour wird das Flurförderzeug mit hoher Einsatzlast zwischen zwei Buchten hin- und hergefahren, dabei auch die Last gehoben und gesenkt – und zwar mit durchgehend maximaler Performance. Die Anforderungen an die Fahrer sind dabei so hart, dass sich pro Prüfzyklus mehrere Personen abwechseln müssen. Alles um sicherzustellen, dass die gemessene Temperatur am Stapler keinen kritischen Wert übersteigt und er auch bei Umgebungstemperaturen von bis zu 45 Grad Celsius nicht überhitzt – Ausnahmebedingungen für Mensch und Maschine.

Wie schlägt sich das Fahrzeug bei Minusgraden?

Genauso stellen Minustemperaturen eine Herausforderung dar: Springt der verbrennungsmotorische Stapler in großer Kälte verlässlich an? Liefert der Elektro-Gabelstapler auch bei Minus-Temperaturen seine volle Performance? Ist der Hubmast umfassend einsatzbereit? Dabei ist vor allem die Viskosität des Hydrauliköls ein zu lösendes Problem. Das zähflüssige Öl muss von den Pumpen gefördert und umgewälzt werden, sonst kann es zum Totalstillstand kommen. Die Experten in Aschaffenburg und Hamburg holen auch diese Extrembedingungen ins Testzentrum: Der Gabelstapler wird über einen Verlauf von zwölf Stunden in einer auf minus 20 Grad heruntergekühlten Kältekammer gelassen – und der Verbrennungsmotor muss dann problemlos anspringen.

Der Gipfel aller Testszenarien

Lassen sich sämtliche Feldbegebenheiten verlässlich im Testzentrum reproduzieren? Leider nein – für manche muss man weit reisen, manchmal auch ein paar hundert Kilometer weit. Auf dem Großglockner, in 2.500 Meter Höhe, mischt sich die KION Group als einziges Maschinenbauunternehmen unter zahlreiche Größen der Automobilbranche. Sie alle eint das gleiche Vorhaben: Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in großer Höhe, bei dünnerer Luft und niedrigen Temperaturen zu erproben. Diese ultimative Belastungsprobe für dieselbetriebene Flurförderzeuge zeigt: Auch unter Extrembedingungen müssen die Fahrzeuge einsatzfähig bleiben. Bei dünnerer Luft nimmt nicht nur die Leistungsfähigkeit von Verbrennungsmotoren ab. Auch die Kaltstartfähigkeit muss gewährleistet und die Abgasvorschriften müssen erfüllt sein. In den frostigen Wochen auf dem Großglockner werden die Gabelstapler also an ihre Grenzen gebracht – was die Gabelstapler von Linde und STILL ebenfalls mit Bravour bestehen.

Neben den Tests am Material rücken zunehmend auch digitale Simulationen ins Zentrum der Testmethoden. Wo die KION Group beim Thema virtuelles Testing steht, beleuchten wir ausführlich im zweiten Teil unserer Serie.