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Mit 95 PS durch den Schlamm: Richard Brinsden fährt „nebenberuflich“ Seitenwagen-Motocross-Rennen

Schon seit seiner Jugend ist Richard Brinsden leidenschaftlicher Seitenwagen-Beifahrer. Für das Hobby des Verkaufsleiters bei STILL Materials Handling UK ebenso wie für den Job braucht es Teamwork und die Fähigkeit, auch in heiklen Situationen die nächsten Schritte vorauszuschauen.

2023-02-01

Dunkle Wolken hängen noch tief über der Motocross-Rennstrecke, der Regen zieht gerade ab. Die Luft ist noch feucht, sie riecht nach Erde und ist erfüllt vom Motorengeräusch von den zwanzig klassischen Seitenwagen, die über die Piste heizen. Über den zahlreichen Hügeln auf der Strecke heben sie jedes Mal für kurze Zeit vom Boden ab, bei der Landung versuchen die Räder, wieder Haftung zu finden, Matsch spritzt. In jeder Kurve lehnen sich die Beifahrer so weit über das dreirädrige Fahrzeug hinaus, dass es so scheint als müssten sie jeden Moment herunterfallen. So halten sie die Wagen auf der Fahrbahn, die vom Regen in eine Schlammwüste verwandelt wurde. Einer der Beifahrer ist Richard Brinsden, von Beruf Verkaufsleiter bei STILL Materials Handling UK an der englischen Südküste.

Der 64-Jährige stammt aus dem eine Stunde westlich von London gelegenen Henley an der Themse. „Als Kind habe ich meinem Vater dabei zugesehen, wie er seine Seitenwagen-Motocross-Spezialmaschinen selbst gebaut hat und bis in die 1970er bei Rennen gefahren ist“, sagt Brinsden mit einem Leuchten in den blauen Augen. „Als Teenager bin ich dann selbst vier Jahre lang mit wechselnden Fahrern als Seitenwagen-Beifahrer gefahren, bis ich mich während der britischen Seitenwagen-Motocross-Support-Meisterschaft verletzt habe.“ Danach hat sich Brinsden dem Amateurfußball zugewandt, hat sich nebenher mit Kraftsport und Joggen fitgehalten. Die Leidenschaft für die Seitenwagen-Rennen erwachte im Jahre 2000 wieder zum Leben, als er von der Seitenwagen-Motocross-Rennszene mit Fahrzeugen, die aus dem Baujahr 1985 oder älter stammen, erfuhr: „Meinem Vater wurde damals eines dieser Motorräder angeboten. Von da an fuhren wir gemeinsam Rennen. Er war zu dem Zeitpunkt 64 Jahre alt, ich 42.“

Richard Brinsden, Verkaufsleiter bei STILL Materials Handling UK, ist leidenschaftlicher Seitenwagen-Motocross-Beifahrer.

„Mein Vater war zu seiner Zeit ein guter Fahrer“, sagt Brinsden. „Ich selbst habe nie versucht, Fahrer zu sein. Zwar frage ich mich manchmal, wie gut ich wohl wäre, bin aber immer als Seitenwagen-Beifahrer auf klassischen oder modernen Seitenwagen-Motocross-Maschinen gefahren.“ Denn der Beifahrer hat die verantwortungsvolle Aufgabe, das Fahrzeug auf seinen drei Rädern zu halten. Das erfordert viel Geschick. Besonders bei schlechtem Wetter. „Ich persönlich genieße die schlammigen Bedingungen, da sie zusätzliche Fähigkeiten und Teamwork erfordern, damit man auf der Strecke bleibt und ein schnelles Tempo halten kann“, sagt Brinsden.

Teamwork – bei weitem die wichtigste Eigenschaft. Nicht nur im Motorsport, sondern auch im Beruf. Bevor Brinsden im Herbst 2022 als Verkaufsleiter für den Süden Englands zu STILL Materials Handling UK kam, war er bei diversen Flurförderzeug-Händlern sowie – bereits für die KION Group – als Senior Verkaufsleiter bei Linde MH tätig. Zu seinem Job gehört es unter anderem, den Markt zu beobachten, Vertriebsabläufe zu optimieren, Umsätze zu analysieren, Personal zu planen, die Kundenzufriedenheit zu messen. „Dazu braucht es die Fähigkeit, auch in heiklen Situationen die nächsten Schritte vorauszuschauen“, zählt Brinsden auf, „außerdem ein gewisses Maß an Fitness, eine gewinnende Einstellung und nicht zuletzt auch mechanisches Geschick.“

Rechts: Brinsdens Vater war bereits in den 1960ern ein erfolgreicher Seitenwagen-Motocross-Rennfahrer. Links: Ab 2000 fuhren Vater und Sohn gemeinsam Rennen. Zu dem Zeitpunkt waren sie 64 und 42 Jahre alt.

Brinsden hat ab und an die Arbeitgeber gewechselt, nicht aber das Metier. Ebenso die Fahrer, nicht aber den Sport. Mit wechselnden Fahrern fährt er in der Rennsaison von April bis November bis zu zwei Rennen im Monat. Einer seiner größten Erfolge war der Sieg bei der 2015 Classic Pre 85 British Sidecar Motocross Meisterschaft. Und auch international ist er unterwegs – in Deutschland und in Frankreich – und erfolgreich. 2018 hat er den vierten Platz in der Gesamtwertung beim deutschen Kleinhau Flutlichtcross mit klassischen Seitenwagen in der Klasse der über 55-Jährigen belegt und sich somit gegen die besten deutschen und europäischen Seitenwagen-Mannschaften behauptet. Dieses „Kult-Rennen“ findet jährlich am Himmelfahrtswochenende im Mai in der Eifel in Nordrhein-Westfalen nahe der französischen Grenze statt und ist ohnehin Brinsdens Lieblingsveranstaltung: „Ich mag die Rennstrecke sehr“, sagt er. „Außerdem haben die Rennen eine ganz besondere Atmosphäre, denn das zweite Rennen findet nachts bei Flutlicht statt und es sind Tausende Zuschauer dabei.“

Bei allem Können und aller Erfahrung, die Brinsden im Laufe der Jahre gesammelt hat, vergisst er die Anfänge mit seinem Vater nicht. Seine Ambitionen für die Zukunft? „Grundsätzlich möchte ich den Sport weiter betreiben, solange es mir noch Spaß macht und ich körperlich dazu in der Lage bin“, sagt Brinsden bescheiden. „Und hoffentlich werde ich noch mindestens einmal am Kleinhau-Rennen teilnehmen.“ Vielleicht begleitet ihn dann wiederum einer seiner beiden Söhne. Zumindest als Zuschauer. Wenn das Wetter schön ist.

Auch international ist Brinsden erfolgreich: 2018 hat er mit seinem Fahrer den vierten Platz in der Gesamtwertung beim deutschen Kleinhau Flutlichtcross mit klassischen Seitenwagen in der Klasse der über 55-Jährigen belegt.

Die Szene der Rennfahrer mit klassischen Seitenwagen, die aus dem Baujahr 1985 stammen oder älter sind, ist eine absolute Nische. Im Vereinigten Königreich stammen die Fahrgestelle der Wagen zumeist vom britischen Motorrad- und Beiwagenhersteller Wasp Motorcycles mit Sitz in Salisbury. Der Name „Wasp" (deutsch: Wespe) scheint sich vom frühen Farbschema der Wasp-Tank- und Seitenverkleidungen in Gelb und Schwarz abzuleiten. In den 70er und 80er Jahren wurden die Wasp-Fahrgestelle nicht nur von den britischen Fahrern, sondern auch von vielen europäischen Spitzenfahrern gefahren, die bei den damaligen Europa- und Weltmeisterschaften auf dem Siegertreppchen standen.

Die erstaunlich hohe Zahl an Maschinen, die heute noch im Umlauf sind, zeugt von der herausragenden Bauqualität. Das 1964 gegründete Unternehmen Wasp Motorcycles existiert noch immer. Sein Gründer Robin Rhind-Tutt ist 2019 verstorben. Seitdem findet jedes Jahr ein Wasp Celebration Race Meeting mit über 40 der klassischen Maschinen zu seinen Ehren statt, denn er hat diesem Sport zu einer gewissen Bedeutung verholfen.

In der Ära vor 1985 gab es auch ein berühmtes deutsches Chassis von HEOS, dessen Besonderheit es war, den Kraftstofftank im Seitenwagen verbaut zu haben, sodass dessen Schwerpunkt niedrig gehalten wurde. Ein deutsches Meisterschaftsgespann jener Zeit, Josef Brockhausen und sein Beifahrer Herbert Rebele, waren mit dieser Maschine sehr erfolgreich, und Wasp kopierte die Idee des Kraftstofftanks im Seitenwagen für spätere eigene Modelle.