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Sensorik als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine

In der Intralogistik rücken Mensch und Maschine immer näher zusammen. Dabei setzt die KION Group auf neuste Sensortechnik: Fahrerlose Transportsysteme (FTS) bekommen gewissermaßen Augen und Ohren und reagieren dadurch immer besser auf das Geschehen um sie herum. Gepaart mit künstlicher Intelligenz, Cloud-Technologie und einer Echtzeitkommunikation (5G) entsteht in den Lagern eine neue Infrastruktur. Das Ziel: Eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.

2023-07-19

Es rattert und klappert, hinten öffnet sich quietschend ein Hallentor. Unzählige Regale ragen bis direkt unters Dach in 13 Metern Höhe. Dazwischen: enge, teils verwinkelte Gänge. In einer Ecke liegt meterhoch gestapeltes Verpackungsmaterial, in einer anderen türmen sich Gitterboxen. Lagerarbeiter und Kommissionierer eilen durch die Gänge: Das ist der typische Anblick in vielen Lagern und Distributionszentren. Die Hallen sind hochfrequente Knotenpunkte für effiziente Warenbewegung und -verwaltung – ein denkbar hektisches und unübersichtliches Umfeld.

Dass ausgerechnet diese Umgebung die „grüne Wiese“ für die nächste Stufe der Automatisierung sein soll, liegt für Peter Krumbholz, Projektmanager und Automations-Spezialist, dennoch auf der Hand. Krumbholz arbeitet seit 13 Jahren bei der KION Group, ist seit sechs Jahren in der Vorentwicklung tätig und hat als Projektleiter der KI.Fabrik und weiterer KION-interner Forschungsprojekte seit Jahren die Automatisierung von Kommissionierprozessen vorangetrieben.

Im hektischen Treiben eines Warenlagers sieht er „eine hervorragende Basis für wirklich autonomes maschinelles Handeln“, weil viele Abläufe dort unvorhersehbar seien. Für Maschinen bedeute das, dass sie „in kürzester Zeit selbstbestimmte Entscheidungen treffen müssen“, sagt Krumbholz – eine echte Herausforderung also. Um diese zu meistern, seien Sensoren besonders wichtig.

Die Maschinen nehmen Rücksicht

„Im Warenlager der Zukunft dreht sich alles um Sensoren“, sagt auch Alexander Billiet, Manager Solution Design Technical Engineering bei der KION Tochter Dematic: „Sensoren sind die Augen und Ohren der autonomen Intralogistik“. Ohne Sensoren können Fahrzeuge, Roboter und andere Maschinen nicht wahrnehmen, was um sie herum passiert – und damit logischerweise auch nicht auf Veränderungen in dieser Umgebung reagieren. Deshalb sind Sensoren eine Grundvoraussetzung dafür, dass mehrere Systeme und Fahrzeuge gleichzeitig in derselben Halle arbeiten können. In Zukunft würden dabei sie auch immer mehr Rücksicht aufeinander nehmen und interagieren können.

Ganz besonders gilt das auch für den Mischbetrieb von Mensch und Maschine. „Bislang ist es eher eine Form der Koexistenz: Mensch und Maschine sind räumlich und zeitlich oft voneinander getrennt und reichen sich fast nie die Hände“, erklärt Peter Krumbholz. Das soll sich künftig ändern – durch (noch) bessere Sensorik und Systeme hin zur echten Mensch-Maschinen-Kollaboration. Das Potenzial einer solchen „echten“ Zusammenarbeit kann Krumbholz zufolge gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Denn Menschen könnten Lücken in Abläufen schließen, die die Maschinen überfordern – und umgekehrt. Dadurch werde das Warenlager effizienter und wirtschaftlicher. Und sicherer, fügt Dematic-Experte Alexander Billiet hinzu: „Wirklich cool ist, dass wir mit Sensoren die Sicherheit erhöhen können, ohne bei der Produktivität Einbußen hinnehmen zu müssen. Menschen und Maschinen sind in der Lage ihren jeweiligen Job erledigen, ohne sich dabei gegenseitig zu behindern oder zusammen zu stoßen. Der Roboter nimmt die Bewegungen des Menschen wahr und nimmt entsprechend Rücksicht.“

Ohne Sensoren können Fahrzeuge, Roboter und andere Maschinen nicht wahrnehmen, was um sie herum passiert – und damit logischerweise auch nicht auf Veränderungen in dieser Page 2 Umgebung reagieren. Deshalb sind Sensoren eine Grundvoraussetzung dafür, dass mehrere Systeme und Fahrzeuge gleichzeitig in derselben Halle arbeiten können.

Der Schlüssel liegt in der Datenanalyse

Vieles davon ist heute schon Realität. Stereokameras ermöglichen eine dreidimensionale Bildverarbeitung und erzeugen für jeden Bildpunkt auch einen Tiefen- oder Entfernungswert – damit können Fahrerlose Transportsysteme (FTS) den Raum präzise wahrnehmen. Auch die sogenannten Abtastraten (d.h. die Häufigkeit, mit der ein Sensor Werte liefert) sind heute bereits auf hohem Niveau. Doch wenn es um die Intralogistik von morgen geht, darf diese Technologie nicht isoliert betrachtet werden.

Denn es reicht nicht, dass Sensoren mehr Daten in höherer Frequenz und Qualität liefern, sondern die Daten müssen auch verarbeitet werden. „Letztlich kommen viele verschiedene Disziplinen und Technologien zusammen, um den Einsatz moderner Sensoren in der Praxis zu ermöglichen“, so Krumbholz: „Ein interdisziplinäres Team ist die Voraussetzung für den Projekterfolg.“

Ohne Vernetzung geht es auch nicht. Ein hoher Grad an Konnektivität im Lager sowie hohe Übertragungsraten z.B. mittels 5G ermöglichen die Analyse und Auswertung der Sensordaten in Echtzeit. „Früher befand sich die Datenverarbeitungstechnik in den Maschinen selbst. Heute werden Daten aus verschiedenen Fahrzeugen, Wearables und der Infrastruktur kombiniert. Deshalb wandern sie in die Cloud“, erklärt Krumbholz. Die Datenverarbeitung findet also nicht mehr lokal im Fahrzeug statt, sondern außerhalb – in einem sogenannten Data Lake, aus dem sich das jeweilige Unternehmen bedienen kann.

Stereokameras ermöglichen eine dreidimensionale Bildverarbeitung und erzeugen für jeden Bildpunkt auch einen Tiefen- oder Entfernungswert – damit können fahrerlose Transportsysteme (FTS) den Raum präzise wahrnehmen.

Trainingsdaten für die KI

„Daten sind sozusagen das neue Gold“, sagt Peter Krumbholz. Was genau damit gemeint ist? „Wer als Unternehmen die Sensorik beherrscht, kann darauf neuronale Netze und Künstliche Intelligenz trainieren. Je mehr Daten in je besserer Qualität zur Verfügung stehen, desto besser werden die Produkte und Lösungen für die Kunden – und das führt letztlich zu mehr Umsatz“, erläutert Krumbholz. In Forschungsprojekten wie dem 2021 begonnenen ARIBIC-Projekt des Softwareunternehmens LeddarTech, dem Karlsruhe Institute of Technology (KIT), dem STARS Lab der Uni Toronto und KION entstehen deshalb große Bilder- und Datenmengen, die die Trainingsgrundlage für neuronale Netze darstellen.

Konkret werden dem System beim sogenannten „Labeling“ unzählige Fotos eines Objektes gezeigt – aus verschiedenen Richtungen, Perspektiven sowie in unterschiedlichen Qualitätszuständen und Lichtverhältnissen. Das wird so lange wiederholt, bis das System das jeweilige Objekt selbst erkennen kann und zum Beispiel weiß: Das ist ein Gabelstapler. Oder: Das ist eine Palette. Diese Trainingsphase ist aufwendig – aber ein unumgänglicher Schlüssel zur autonomen Interaktion zwischen Mensch und Maschine.

Mehr als die Summe der Teile

Durch das Zusammenwirken von KI, Cloud-Technologie und Sensorik entsteht etwas Neues, das größer ist als die Summe der einzelnen Teile. Im Endeffekt soll das eines Tages zur sogenannten „Machine Vision“ führen. „Das würde bedeuten, dass die Technologie selbstständig Entscheidungen treffen kann“, erklärt Alexander Billiet von Dematic, fügt aber hinzu: „So weit sind wir im Moment noch nicht.“

Und trotzdem geht es aktuell schon um mehr als „nur“ um mehr Automatisierung – und um den feinen Unterschied zwischen „Automatisierung“ und „Autonomie“. „Unter automatisierten Prozessen versteht man in der Regel sich wiederholende Abläufe, die ohne selbstständige Anpassung ablaufen. Autonomie hingegen bezeichnet Systeme, die auf ihre Umwelt und deren Einflüsse reagieren“, erläutert Projektmanager Krumbholz. Aktuell dominieren im Lageralltag hybride Systeme, in denen sowohl automatisierte als auch autonome Lösungen zum Einsatz kommen.

Ein Beispiel dafür ist der iGO Neo, ein Kommissioniergerät der KION Tochter STILL. Das Fahrzeug agiert im Mischbetrieb weitgehend autonom, greift aber zur Einhaltung der Sicherheitsstandards auf Safety-zertifizierte Laserscanner zurück. Die europaweit gültige Maschinenrichtlinie und darauf aufbauende einschlägige Normen erfordern von FTS nämlich Sicherheitslevel, die KI-gestützte Bildverarbeitung bislang nicht erreicht.

Das hält die Konstrukteure und Ingenieure der KION Group indes nicht davon ab, Machine Vision in sicherheitszertifizierte Systeme zu integrieren und beide Systeme miteinander arbeiten zu lassen. Krumbholz: „Bestimmte FTS bewegen sich dank Machine Vision durch das Lager, während die zertifizierten Laserscanner in entscheidenden Momenten das letzte Wort haben und Kollisionen verhindern.“ Aus seiner Sicht dauere es nicht mehr lange, bis das geforderte Sicherheitslevel allein durch Machine Vision erreicht werde.

Der iGo neo agiert im Mischbetrieb weitgehend autonom, greift aber zur Einhaltung der Sicherheitsstandards auf Safety-zertifizierte Laserscanner zurück.

Sensorik als Schlüssel zu echter Kollaboration

Während automatisierte Abläufe unbedingt eine saubere und übersichtliche Lagerumgebung benötigen, darf das Warenlager der Zukunft also dynamisch und unübersichtlich bleiben. Wenn es nach Peter Krumbholz geht, werden sich autonome Fahrzeuge in diesem herausfordernden Umfeld bald selbst zurechtfinden – dank Sensorik, Cloud-Technologie und KI. Ganz ohne uns geht es dann aber doch nicht, ist Krumbholz überzeugt: „Der Mensch wird auch in der Intralogistik von morgen unverzichtbar sein.“