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Von der Vision zur Wirklichkeit: das Warenlager von morgen

Industrie und Intralogistik haben in den vergangenen Jahren gewaltige Entwicklungssprünge erlebt. Aus herkömmlichen Fabriken werden zunehmend Smart Factories, und in Warenlagern verkehren fahrerlose Transportsysteme (FTS) und Autonome Mobile Roboter (AMRs) mittlerweile genauso selbstverständlich, wie im heimischen Wohnzimmer der Staubsaugroboter seine Runden dreht. Welche weiteren aufregenden Entwicklungen die Zukunft der Intralogistik bereithält, verraten die Experten der KION Group.

2022-05-18

Die Geschichte der Logistik ist nahezu so alt wie die des Menschen. Das Bedürfnis, Materialien kraftsparend von A nach B zu transportieren, führte stets zu neuen Errungenschaften, die die Menschheit als Ganzes voranbrachten. Die Erfindung des Rads vor 5500 Jahren, die unglaubliche Logistik des Pyramidenbaus in Ägypten, die ersten Kräne für den Bau antiker Tempel in Griechenland: Alle diese Pionierleistungen waren echte Meilensteine in einer gewaltigen Fortschrittsgeschichte, die bis heute andauert – und den Weg in eine aufregende Zukunft weist.

Denn gerade heute steht die Intralogistik im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung vor neuen Paradigmenwechseln, die die Beschaffenheit des Warenlagers nachhaltig verändern werden. Zwar wird es auch in Zukunft noch die üblichen Lagerprozesse wie Wareneingang, Prüfung, Einlagern, Kommissionierung und Versand geben. Allerdings werden alle diese Prozesse viel schneller, flexibler, weitgehend automatisiert und auch deutlich nachhaltiger ablaufen.

Diese Entwicklungen voranzutreiben, ist seit vielen Jahren Gegenstand der unterschiedlichen Forschungsabteilungen bei KION, die auch mit renommierten Institutionen wie dem Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) zusammenarbeiten. Gemeinsam mit den Experten werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Trends, die schon heute den Weg zum Lager von Morgen bereiten.

Wie wird das Warenlager von morgen aussehen? Deutlich anders als heute: Vollständig automatisiert und digital gesteuert.

Künstliche Intelligenz: ein Gamechanger in der Intralogistik

„Im Kern des Warenlagers von Morgen liegt ein hochverdichtetes, voll automatisiertes Warenhaussystem: modular aufgebaut, erweiterbar, angebunden an Schwärme von Fahrzeugen. Das ganze System ist vernetzt und gesteuert von einer künstlichen Intelligenz.“ So beschreibt Joachim Tödter, Senior Director Technology & Innovation bei der KION Group, seine Vision vom Warenlager der Zukunft. Ein wesentlicher Faktor für deren Realisierung ist das Forschungsprojekt „LoadRunner“. Gemeinsam mit den Fraunhofer IML hat KION 2021 den intelligenten Fahrzeugschwarm vorgestellt und möchte ihn jetzt zur Marktreife brinen. Jedes einzelne der flinken, kleinen Fahrzeuge kann Pakete von 30 Kilogramm Gewicht mit 40 km/h transportieren. Doch nicht nur die Geschwindigkeit ist überragend, sondern auch die Intelligenz des Systems: Ohne übergeordnete Instanz kommunizieren die Fahrzeuge untereinander. Sie unterstützen sich gegenseitig, tragen sperrige Lasten gemeinsam, koordinieren, wer welches Paket übernimmt und wer für welchen Auftrag die günstigste Route hat. „Es ist der erste wirkliche Schwarm und der erste wirkliche Einsatz von KI in der Intralogistik“, erklärt Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter Fraunhofer IML. Die Lösung vereint echtzeitfähige Netzwerke, hochfrequente Kamerasysteme, künstliche Intelligenz und neue Rechnertechnologien. So wird der LoadRunner laut ten Hompel „die Branche revolutionieren“.

Es ist der erste wirkliche Schwarm und der erste wirkliche Einsatz von KI in der Intralogistik. Der LoadRunner wird die Branche revolutionieren.

Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter Fraunhofer IML

Auch Abassin Aryobsei, Vice President Product Strategy & New Technologies KION Group AG, sieht viel Potential für Künstliche Intelligenz in der Intralogistik, vor allem in den Fahrzeugen, aber auch in der übergeordneten Steuerung: „KI wird uns erlauben, Systeme stets zu optimieren. Die Systeme werden lernen. Und sie werden die Intelligenz, die sie erworben haben, ständig an die anderen Systeme weitergeben. Wir können wirklich viel erwarten in der Zukunft“, lautet seine Prognose.

Dynamische Schwärme statt starrer Systeme

Langfristig werden kleinere Transportsysteme wie der LoadRunner oder AMRs (Autonomous Mobile Robots) wie der C-MATIC der KION Tochter Linde Material Handling fest installierte Fördertechnik ersetzen. Letztere sind heute noch ein allgegenwärtiger Anblick in vielen Lagern und Distributionszentren. Ihre Implementierung erfordert langfristige Planung; denn einmal eingebaut, lässt sich am Layout später nicht mehr viel ändern. Anders wird es sich in Zukunft mit den Transportrobotern verhalten: Sie können überall eingesetzt und Routen jederzeit flexibel angepasst werden. So werden sie künftig neue, ungeahnte Freiheitsgrade bei der Lagergestaltung eröffnen.

Ein weiterer Vorteil der LoadRunner-Schwärme und AMRs: Fällt ein Gerät aus, übernimmt einfach ein anderer Transportroboter den Job. Anders als bei automatisierten Förderstrecken führt ein technisches Problem nicht mehr zum Stillstand der gesamten Anlage. Durch die Flexibilität und nahezu grenzenlose Skalierbarkeit werden die Lager der Zukunft noch zuverlässiger arbeiten und durch die intelligente Abstimmung aller Prozesse eine optimale, bedarfsgerechte Auslastung erzielen.

Wie sieht ein LoadRunner aus? Der kleine Swarmroboter ist ziemlich schnell und stark und transportiert Pakete mit 30 kg mit bis zu 40 km/h.

Superschnelle und ausfallsichere Datennetze

Die Kommunikation der Maschinen untereinander wird im Warenlager von Morgen der alles bestimmende Faktor sein. Deshalb werden die Transportfahrzeuge von morgen auf breiter Basis mit der entsprechenden Hard- und Software für eine optimale Konnektivität ausgelegt sein. Doch die Vision von autonom fahrenden, intelligenten Transportfahrzeugen lässt sich nur mit sehr leistungsstarken Mobilfunknetzen realisieren, mit denen große Datenmengen sicher, zeitnah und effizient bewegt werden können. Hier kommt der Mobilfunkstandard 5G ins Spiel, dessen Anwendung für die Intralogistik das KION Tochterunternehmen STILL an seinem Stammsitz in Hamburg bereits heute in einem eigenen, geschlossenen Campusnetzwerk erprobt. „Dieses 5G-Netz wird uns einerseits dabei helfen, autonom ablaufende Logistikprozesse für unsere Kunden auf eine neue Ebene zu heben. Auf der anderen Seite werden wir mit der superschnellen Datenübertragungstechnik unsere Produktion optimieren. Künftig können im Sinne der Smart Factory kabellose Produktionsroboter und Menschen durch die schnelle, drahtlose Kommunikation reibungslos zusammenarbeiten“, beschreibt Ansgar Bergmann, STILL Spezialist für die Bereiche Data und Vernetzung, die wichtigsten Gründe für die Installation des unternehmenseigenen 5G-Netzwerks.

Mit dem 5G-Standard können in Zukunft ganze AGV-Flotten in Echtzeit koordiniert und die Steuerungs- und Routendaten in einer Cloud des Unternehmens verwaltet werden. So wird 5G im Warenlager von Morgen nicht nur die Ausfallsicherheit der Systeme gewährleisten, sondern auch einen Datentransfer-Boost herbeiführen, mit dem die neuesten Visionen vom maschinellen Lernen schon bald Realität werden.

Die digitale Vernetzung der Fahrzeuge und Geräte im Warenlager - hier sichtbar gemacht.

Echtzeit-Darstellung und Echtzeit-Inventur des Lagers

Fahrerlose Transportsysteme (FTS) noch intelligenter werden zu lassen als je zuvor, ist Gegenstand des Forschungsprojects ARIBIC. FTS werden schon heute in bedeutendem Ausmaß in der Intralogistik und in Produktionsanlagen eingesetzt. Ausgestattet mit moderner Sensorik wie Laser-Scannern und Kameras finden sie sicher ihren Weg durch Regale, Produktionslinien und Lagerhäuser. Während des Einsatzes generieren sie ununterbrochen eine beträchtliche Menge von Daten über die Umgebung, in der sie sich bewegen. Jedoch werden genau diese Daten bisher für gewöhnlich nicht systematisch erfasst.

Das Team rund um Bengt Abel, Projektmanager Robotics & KI bei der KION Group, will das ändern. „Wir haben überlegt, wie wir diese Daten speichern und für unsere Kunden nutzbar machen können. Die Idee von ARIBIC ist es, die Sensordaten, die ein FTS aufnimmt, vorverarbeitet und auswertet, nicht wegzuwerfen, sondern in einer Datenbasis zu speichern“, erklärt Abel. Die von den Sensoren an den Fahrzeugen gesammelten Daten werden genutzt, um hochauflösende 3D-Karten von Lagerhäusern oder Produktionsumgebungen zu erstellen – einen sogenannten „Digitalen Zwilling“. „Noch setzen viele Unternehmen im industriellen Sektor auf eine Nach-Digitalisierung ihrer Produktion bzw. ihrer Läger. Das bietet jedoch nur einen kleinen Ausschnitt. Die Ergebnisse von ARIBIC werden darüber hinaus gehen, da sie eine kontinuierliche Datenauswertung erlauben“, ergänzt Dr. Joachim Tödter.

ARIBIC - Das Akronym steht für "Artificial Intelligence-Based Indoor Cartography": Durch kontinuierliche Datenauswertung soll ein digitaler Zwilling eines Lagers oder einer Produktionsumgebung in Echtzeit erstellt werden können.

Da die Karten in Echtzeit entstehen, enthalten sie jede Menge aktuelle Informationen, die wiederum für ganz neue Anwendungen herangezogen werden können. So erkennen sie z. B. wenn eine Palette vor einem Notausgang abgestellt wurde oder einen Weg versperrt und können einen entsprechenden Alarm auslösen. Sie ermöglichen aber auch Verbesserungen von Kommissioniersituationen. Nimmt ein FTS zum Beispiel im Vorbeifahren wahr, das von einem Mitarbeitenden gerade das vorletzte Paket von einer Palette verräumt wird, kann es sofort ein anderes FTS benachrichtigen, dass dann Nachschub bringt. So kann im Warenlager von Morgen auch die Inventur ganz einfach im laufenden Betrieb stattfinden – ohne zusätzlichen Aufwand erledigt von den FTS, während sie ihre Runden durchs Lager drehen und ihren üblichen Transporttätigkeiten nachgehen.

Mehr Systemintelligenz für einen geringeren CO2-Fußadruck

Natürlich nimmt Nachhaltigkeit im Lager von Morgen einen großen Stellenwert ein: und zwar von der Photovoltaikanlage auf dem Dach bis hin zum intelligenten Lademanagement für die mit Lithium-Ionen-Batterien angetriebenen Fahrzeugflotten. Den Kern des Lagers stellt ein hochverdichtetes, in sich geschlossenes Lights-out-Lager dar, das nicht nur Platz, sondern auch Energie spart: Denn die zwischen den Regalreihen hin- und hersurrenden Shuttlesysteme können ihre Arbeit in Dunkelheit verrichten. Sind sie nicht im Einsatz, fallen sie in einen Sleep-Modus, so dass ihr Energieverbrauch auf ein absolutes Minimum gesenkt wird. Zudem sind alle Shuttles perfekt orchestriert, so dass sie niemals alle auf einmal anfahren, um kostenintensive Peaks in der Energieversorgung zu vermeiden.

Datenströme sind energieintensiv, deshalb forscht KION daran, wie das Lager möglichst energieeffizient betrieben werden kann.

Alle Fahrzeuge, die zwischen Warenein- bzw. -ausgang ihre Bahnen ziehen, werden von einer KI-unterstützen Software angewiesen, zum genau richtigen Zeitpunkt zu laden: nämlich einerseits dann, wenn gerade besonders viel Energie von der Photovoltaikanlage zur Verfügung steht, und andererseits so, dass es weder zum Stillstand der laufenden Prozesse noch zum gleichzeitigen Laden zu vieler Fahrzeuge kommt. „Das übergeordnete System steuert die Fahrzeuge in einer Form, dass der Energieverbrauch des gesamten Lagers von Morgen optimiert wird: Sei es der LoadRunner oder andere Fahrzeuge, die Waren transportieren“, erklärt Tödter.

KION hat sich im vergangenen Jahr an der ifesca GmbH beteiligt. Auch diese Plattform benutzt künstliche Intelligenz. Mit präzisen Prognosen können die Kunden optimale Ladezeiten für ihre Stapler und ihre gesamte Lagertechnik planen. Ihre Energiekosten sinken und die Belastung der Stromnetze ist ausbalanciert.

Damit optimieren sie ihren Energieverbrauch im Warenlager – auf dem Weg zur CO2-neutralen Intralogistik.

Die Entwicklungsteams der KION Group und ihrer Marken arbeiten mit Hochdruck daran, diese Visionen zu verwirklichen. Viele wichtige Etappenziele auf dem Weg zum Lager von Morgen sind bereits erreicht. Fest steht: Digitalisierung, Automatisierung und alle Innovationen, die mit ihr im Zusammenhang stehen, werden die Welt der (Intra-)Logistik verändern. Und die KION Group setzt alles daran, Wegbereiter dieser Innovationen zu sein.